Gedanken zu dem Anschlag in Solingen (Forum)

Kraiburger, Tuesday, 27.08.2024, 15:10 (vor 94 Tagen) @ domlöwe

Am Freitag, den Dreizehnten November 2015 bin ich beim Besuch eines Fußballspiels Ziel eines Terroranschlags geworden.

Um mich herum, sowie an zwei weiteren stark besuchten Orten in der näheren Umgehung - einem Konzertsaal und einer belebten Vergnügungsmeile in der französichen Hauptstadt Paris - sind an diesem Tag aufgrund der Taten einiger Arschlöcher 130 Menschen ums Leben gekommen.

Ich hab in den letzten fast 9 Jahren den Tag nicht nur einmal Revue passieren lassen: Warum konnte es soweit kommen? Warum musste ich genau dort sein? Warum war ich tatsächlich nicht mehr an dem Ort, an dem ich 20 Minuten vorher stand? Warum bin ich Ziel so eines Anschlags? Warum hatten wenige Kilometer entfernt die Konzertbesucher weniger Glück als ich? Warum tut ein Mensch sowas?

Nachdem die beiden Bomben etwa 50 Meter von mir entfernt detoniert waren, bin ich umringt von anderen Menschen fassungslos am Stadionzaun gestanden. Wir haben beobachtet, wie Scharfschützen aufmarschiert sind und die Nationalgarde. Wir haben die Fetzen der Detonation gesehen und haben Angst und Sorge in jedem Gesicht gesehen. Währenddessen ging die dritte Bombe, die wohl auch dem Stadion gegolten hat, nur wenig entfernt in einem McDonalds hoch. Wird es eine vierte Bombe geben?

Um mich herum war Sorge und Angst. Und ein erleichterndes Gefühl, dass ich mit diesen Sorgen nicht alleine war. Um mich herum standen andere Fußballfans: ein paar Stuttgarter, Franzosen, Bayernfans, Araber, Kinder und Ordner. Alle vereint in ihrer Angst. Denn die Arschlöcher machten keinen Unterschied dabei, wen sie massakrieren. Den Geflüchteten neben mir, der mit dem Boot das Mittelmeer durchquerte um genau solchen Arschlöchern zu entkommen, hätten sie genau so auf dem Gewissen haben können wie den Bremer AfD-Wähler, der auch mit Deutschland immer auswärts fährt. Den Bayernfan, den ich quod Status hasse, genauso wie mich.

Vollkommen egal, welche Religion, Sexualität, Herkunft, Hautfarbe oder Vereinszugehörigkeiten wir hatten: Ein paar Arschlöcher mit Bomben und Gewehren, die direkt vor unseren Augen waren, wollten uns umbringen.

Warum sie das wollten, weiß ich bis heute nicht und ich will es auch gar nicht wissen. Ich will einfach nicht wissen, was im Kopf von einem Arschloch vorgeht weil ich dafür kein Verständnis aufbringen will.

Während wir in unserem Hotel in St.Denis Zuflucht fanden, sind in Deutschland die ersten Diskussionen aufgekommen: Die Grenzen zu schließen, Ausländer generell abzuschieben und der ganze Rechte Müll, auf den man gar nicht eingehen braucht. Wie soll ich auf die Idee kommen jemanden, der vor genau solchen Arschlöchern aus Syrien flieht "rein Proforma" aufgrund der Existenz solcher Arschlöcher wieder nach Syrien hin abzuschieben? Gehts eigentlich noch?

Die Arschlöcher morden dort doch genauso, nur ist halt in unserem Dunstkreis ein Menschenleben "da dort" weniger wert?

Obwohl ich eigentlich das ganze Wochenende in Paris bleiben wollte, habe ich Samstag morgen übereilt einen Flieger nach Hause gebucht. Ich habe mich als Flüchtender gefühlt. Jemand, der vor den Bomben flüchtet und in Sicherheit will. Wie soll ich denn dann Verständnis dafür aufbringen, dass es Forderungen nach Grenzschließungen gibt? Warum haben wir diesen abscheulichen Drang dazu, Menschen abzuweisen die Schutz suchen? Leute, möglicherweise wie mich, der nur das Glück hat einen "korrekten" Reisepass dank Geburt gewonnen zu haben?

Man kann es drehen und wenden wie man will: Es gab Arschlöcher und es wird immer Arschlöcher geben. Überall. Auch in Deutschland gab es immer Serienmörder und Arschlöcher. In den Zeiten der totalen Abschottung von 1939 bis 1945 statistisch sogar die meisten. Uns erneut abzuschotten, Ängste zu schüren, unreflektierte Forderungen zu stellen oder ganze Volksgruppen unter Generalverdacht zu stellen ist dann doch das dümmste was man machen kann.

Deswegen werden die Arschlöcher nicht weniger, sondern mehr.

Ich kann daher die Gedanken vom domlöwen nur unterstreichen.


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