Bulgarien (Forum)

nordkurvenasso, Tuesday, 17.12.2019, 00:55 (vor 1727 Tagen)
bearbeitet von City-Roller, Tuesday, 17.12.2019, 18:11

Bulgarien also.Groundhoppen ebenda.

Sich einen Überblick von einem Land zu verschaffen, geht am leichtesten mit einem Gespräch über Fussball und Bier. Mag jeder, kennt jeder und jeder hat eine Meinung hierzu.

Die Spieltage in der bulgarischen ersten Liga sind schlimmer gesplittet, als es sich ein deutscher Fan in seinen ärgsten Alpträumen je erträumen würde. Einem casual Groundhopper, der sich gerade in der Gegend rumtreibt, spielt dies jedoch in die Karten.

Folgenden Hammerpartien konnte ich ich in den vergangenen Tagen aufgrund genannter Umstände beiwohnen:

Am Freitag, Veliko Tarnovo - Botev Vraza.
Am Samstag: ZSKA Sofia – Ruse
Am Sonntag: Lok Plowdiw – Lewski Sofia

Letztere Partie erschien noch am klangvollsten. Etwaiges Hauerpotential wurde vermutet.

Der Reihe nach:

Noch vor besagtem Wochende besteht die Möglichkeit, sich Zugang ins Nationalstadion von Sofia zu erschleichen. Fleissige Handwerker lassen das Gatter offen stehen, um in ihrer Werkstatt, welche sich im Bauch des Stadions befindet, Skier zu wachsen. Man schleicht sich hinein, macht ein paar Fotos von dieser Kommunistenschüssel und geht wieder. Verduzt und leicht indigniniert schließt der Schreinermeister hinter einem die Tore Außen prangt am Stadion ein gemeisselter Schriftzug von einem gewissen Lessing oder so, dass der Mensch da daheim wäre, wo er spielt.

Der Mann hat recht.

In Sofia herrschen Wiener Verhältnisse. Man leistet sich ein eigenes Nationalstadion. Die beiden Klubs Lewski und ZSKA spielen jeweils in ihren eigenen Arenen. Alle drei Stadien sich einfach zu erreichen, indem man einfach an der "Lewski"-Station, der roten U-Bahnlinie, aussteigt.
Es gibt quasi noch einen dritten Verin im Bunde. Slavia Sofia. Deren Namen ich noch nie zuvor gehört Auch diese leisten sich einen eigenen Ground. Scheint sowas wieder des Wiener Sportcklub zu sein. Zumindest ist ihr Stadion in schwarz und weiss gehalten.

Nachdem man ein bischen Sightseeing betrieben hat, geht es via Svilengrad (ein unbedeutender Drittligist, welcher sich in seinem Stadion statt einer Aschenbahn eine betonierte Radbahn ala Münchner Sechstagerennen leistet) im Dreiländereck Türkei/Griechenland/Bulgarien, weiter nach Veliko Tarnovo, der alten bulgarischen Hauptstadt. Eine 70.000 Einwohner Stadt mit schöner Altstadt. Von der dortigen Festung (unbedingt sehenswert) sind auch die jahrtausende alten Flutlichtmasten zu erkennen.Ein Fussmarsch von dort ist machbar. Das Teil scheint mitten im Wohngebiet zu liegen

Tatsächlich weist mir das Licht der Flutlichtmasten zielsicher den Weg. Die Bratwurst vor Ort ist zwar schwer in Ordnung, jedoch scheint das Leben seinen gewohnten Gang zu gehen. Nichts lässt darauf schließen, dass im Inneren der Betonschüssel in Kürze ein Erstligaspiel angepfiffen wird. Nur der geparkte Bus der Gästemannschaft fällt auf. Breitschultrige, kurzgeschorene Bauarbeitertypen ,als Securitypersonal verkleidet, lungern am Eingang herum und befinden den Inhalt meines Rucksacks als nicht beanstandenswert.

Das Heimstadion ist in Violett gehalten und leer. Ein Geisterspiel vor gefühlt 1000 Zuschauern. Kevins Tennis Borussia lässt grüßen. Ein bischen Pyro und ein leistungsschwaches 1-1 runden das Trauerspiel ab. Hier spielte der 10. gegen den 13. der Bulgarischen Ersten Liga (14er Feld).

Bulgarien lässt sich grundsätzlich äusserst preiswert bereisen. Allerdings verpasse ich sowohl Bus als auch Zug, respektive habe ich keinen Bock, drei Stunden auf die nächste Reisemöglichkeit nach Sofia zu warten.

Ein freundlicher Taxifahrer macht mir das Angebot, für 50 Schleifen die 250 Kilometer nach Sofia zu fahren. Ich nehme sein Angebot an, lasse ihn noch schnell am nächsten "Spätie" (die gibt es hier wie auf dem gesamten Balkan zuhauf) anhalten und verpflege mich mit drei Nullfünfer Stella Artoise. Die kann ich gut gebrauchen. Ich verneine mein Credo des "support your local brewery" ,weil ich Kopfweh vermeiden will. Belgisches Bier knallt immer noch am sichersten, ohne ungewollte Folgen in Kauf nehmen zu müssen. Ich bin unter Zeitdruck, denn in Sofia erwartet mich ab Mitternacht das Solar Festival am InterExpo Center. Bereits vor fünf Wochen hat mein derzeitiger LieblingsDJ HotSince82 ein formidables Set in Sofia (wennglich nur im Yalta Club) hingelegt. Bei 100 Stundenkilometer und gekonnten Überholmanövern über die nebelverhangene, einspurige Landstraße geht das Bier schnell hinunter. Im Radio läuft ein ansprechendes Deep House Set. Über eine riesige Einfahrtsschneise mit krassen Gewerbeansiedlungen erreichten wir mein Hotel. Jetzt noch schnell duschen und dann ab zum Raven,. Gegen 23:25 h werde ich vom tropfenden Sabber meiner Mundhöhle wach , drehe den gestellten Wecker ab und schlafe schließlich bis 8:00 h morgens durch. Raven war mal. Verstehe ich nicht, solche Touren haben doch seit 1992 bei mir Tradition.

Nach einigen , vom Physio empfohlenen Rückenübungen im hoteleigenen Spa, federe ich mittags gemütlich Richtung ZSKA Ground.
ZSKA Sofia. Rekordmeister. 31Mal sogar. Hab die seinerzeit sogar mal live gesehen. Im Halbfinalrückspiel im Europacup der Landesmeister 1982. War ein 0-4 aus deren Sicht., nach einem 4-3 Hinspiel Sieg. Den Stadionbesuch hat mir mein Papa ermöglicht. Weil ich beim Zahnarzt angeblich so tapfer war. Man stelle sich das mal heutzutage vor. ZSKA Sofia im Halbfinale der Championsleague. Zefix, ich wünsche mir diese Zeit zurück. Darüberhinaus gabs mal vor einigen Jahren einen Zwangsabstieg wegen angeblicher finanzieller Ungereimeheiten. Nun ist man wieder da. Ich mag die irgendwie trotzdem nicht. Ich mag nämlich grundsätzlich keine Rekordmeister. Nirgendwo. Die stinken. Weder in Italien, England, Spanien und noch weniger in Deutschland. Warum soll ich dann für Bulgarien eine Ausnhame machen ( In Serbien natürlich schon. Augentahler /Aumann Halbfinale 1991 :-D )

Nervig ist ausserdem, dass man ständig gefragt wird, woher man kommt. Outet man sich als Münchner, fällt natürlich das "B" Wort. Da ich ein ängstlicher Mensch bin, führe ich nur einen begrenzten Betrag Bargeld in einer provisorischen Geldschatulle mit mir . Wann immer mich einer mit seiner Bayernscheisse nervt, zücke ich die Schatulle. Es handelt es sich um das Behältnis der Eisbonbons mit 60er Logo aus unserem Fanshop. Dann zeige ich auf den Löwen und das darunterstehende Wort "München". Hierzu sage ich das Zauberwort "Borimirow" und nur die Dumopfbacken verstehen nicht, was ich meine.

Die Fahrt vom Hotel zum Stadion beginnt vermeintlich erfreulich, weil sich ein mittelalter, jedoch äusserst gut erhaltener, gestiefelter Kater mit Pferdeschwanz anschickt, in den selben U-Bahn Waggon zu steigen wie man selbst. Die Dame mit der engen schwarzen Lackhose und den High Heels scheint einem einschlägigen Magazin entsprungen zu sein und ich freue mich auf die drei Stationen Fahrt. Dummerweise quetscht sich im letzten Augenblick eine wesentlich jüngere, vermutliche Studentin, ebenso in unser Abteil und stellt sich in das Blickfeld zwischen mir und Mrs Chefsekratärin. Bitter ist zum einen nicht nur, dass sie mir die Sicht verstellt, sondern ich muss zu meinem Erschrecken bei der jungen Dame eine Ähnlicheit zu Luisa Reemtsma-Neubauer feststellen. Es nützt alles nichts. Bereits zwei Stationen später verlassen sowohl Luisa als auch die langbeinige Gazelle die U-Bahn und ich bleibe mit einem pickligen 19jähren ZSKA-Ultra in der U-Bahn zurück.

Wie auch immer. Am alten Zentralstadion vorbei, weist mir ein Flohmarktverkäufer den Weg zum Stadion Auch hier ist seltsamerweise auf dem etwa 500 Meter langen Fussweg von der U-Bahn zum Stadion null von Fussballatmosphäre zu spüren. Erst als ein, offensichtlich von der EU gesponsorter Polizweiwagen der Marke Land Rover Discovery, Grundpreis 90.000 Euro aufwärts, in mein Blickfeld gerät, entdecke ich auch einen vermeintlichen Bratwurststand und rotgekleidete Menschen aus dem Fussballfan Milieu.

Die Kasse sowie der daneben befindliche Fanshop haben es in sich.
Aufkleber mit eindeutig rechtsextremen Parolen zieren die Hauswand. Die offensichtliche Nähe zum "Hooliganismus" prägt auch die Produktpallette. Etwas verwirrend sind die Rentner an den Tischtennisplatten. Offensichtilch gegen Geld könnte man sie zum Doppel herausfordern.Die Hütchenspieler haben also eine neue Masche.
Ich verzichte auf ein Duell, obwohl es mich gejuckt hätte. Einen Bratwurststand suche ich vergebens. Der Tisch mit den offerierten Nüssen, Pistazien und so weiter scheint unbesetzt. Erst nach kurzer Zeit kommt der Verkäufer aus dem Gebüsch zurück, nachdem er sich dort erleichtert hatte, wie sein halb offen stehender Hosenstall vermuten lässt. Glücklicherweise wiegt er die Nüsse nicht mit der Hand ab, wie eine danebeliegende Metallschaufel vermuten lässt.

Das Stadion ist in einem hässlichen Weinrot gehalten, nahezu unüberdacht und natürlich mit Laufbahn. Schön ist allerdings die Bergkette hinter dem Stadion. Überhaupt halte ich es für wissenswert, dass Sofia von Bergen umgeben ist und man die dortigen Skigebiete schnell erreichen könnte. Äusserst reizvoll also , aber man ist ja nicht hier zum Landschaft gucken. Die Schalensitze sind verkalkt und jeder, der sich auch nur ansatzweise den Sitzplätzen nähert, hat am Hintern den Kalk an seiner Hose und Jacke.

Es folgt ein klares 4-0. Dabei machen die beiden schwarzen Spieler bei ZSKA auf der linken Seite ordentlich Alarm. Der dritte Schwarze, ein Schlaks mit blondierten Haaren ala Wesley Snipes, erweist sich als Mister Chancentod.

Der Support ist durchgehend, nicht dem Spielverlauf entsprechend. Wie seinerzeit bei den Löwenamateuren stellt man sich zusammen, um stimmgewaltiger zu wirken.
Der Stehplatzbereich ist wie im Grünwalder. Also tolle Stangen zum Auflehnen - nur muss man keine Angst haben, von einem Kuttenträger "Ich steh do scho seit Jahren" vertrieben zu werden.

Ich verlase den Ground, esse noch eine Kleinigkeit in der Happy Grill Bar und bereite mich auf die Weiterfahrt am nächsten Tag nach Plowdiw vor.

Morgen aber würde doch fanmassig sicher was geboten sein.

Nach zwei Stunden Zugfahrt, von Sofia aus, erreiche ich gegen 13:00 Plowdiw. Anpfiff ist um 14:15 h .

Die Partie würde kein Vergleich zu den beiden vorangegangen sein.:-|

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Reiseberichte


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